Sonntag, 21. Oktober 2012

Faserland. Eine Deutschlandreise.

Wo auch immer der Titel herkommt, ob vom Zerfasern der Gesellschaft, vom Faseln des Erzählers oder vom schlecht artikulierten 'fatherland', auf das der Protagonist immer wieder eingeht; dieses Buch bietet mehr als vor der Lektüre erahnt wird.

Wie der Titel ist auch diese Reise eines Dandys durch Deutschland vielschichtiger und die Wirkung, die Konsequenzen undurchschaubarer. Es ist mehr da, man merkt es beim Lesen, es steckt irgendwo in den Etappen auf Sylt, in Hamburg, Frankfurt, München, in Heidelberg ganz besonders und am meisten in Meersburg und schließlich in Zürich. Das merkt man. Aber erst beim Lesen.

Vielleicht ist es die Entschleunigung, die immer dann eintritt, wenn der Erzähler sich erinnert, aus der Handlung flüchtet und nicht mehr nur beschreibt. Etwa in Meersburg, bei der Party am Bodensee, unter anderen Reichen. Der Protagonist erinnert sich plötzlich an seine Reise nach Mykonos, als er betrunken an einem Strandabschnitt unter Schwulen steht und einen Dampfer beobachtet - wie er immer beobachtet, salopp und naiv - und dann einen Schluss zu ziehen versucht, nur einen Absatz lang:

"Das ist natürlich etwas schwierig zu erklären, aber ist ein bißchen so, als finde man seinen Platz in der Welt. Es ist kein Sog mehr da, kein Ohnmächtigwerden angesichts des Lebens, das neben einem so abläuft, sondern ein Stillsein. Ja, genau das ist es: Ein Stillsein. Die Stille."



Christian Kracht, Faserland, 1995 Kiepenheuer & Witsch