Donnerstag, 9. August 2012

Die Weltanschauung muss warten

Erstaunlich ist, was in den Feuilletons dieser Woche über Hermann Hesse erscheint. Als Stimmung gilt: Wir enstauben einen Star. Das Gesamtwerk wird hervorgekramt und grob durchleuchtet. Dann einmal nach Calw und erinnern. 'Der Spiegel' bietet Hesse gleich das Titelblatt – mit erhobenem Zeigefinger, gewohnt modern. Hesse würde toben, in seinem Garten in Montagnola, wenn ihn diese Meldungen erreichten – angenommen er könnte noch toben.

Heute vor 50 Jahren beendete ein Hirnschlag das Leben von Hermann Hesse. Mehrere tausend Seiten Erzähungen und Romane, etwa 1.400 Gedichte sowie zahlreiche Briefe berichten von Suche, Aushalten, Leiden und Glück. Zahlreiche Aphorismen sind gar Volksgut geworden. Für scheinbar jede Lebenslage bietet sein Werk die passende Lektüre. Seit Erscheinen sind seine Bücher gefragt – und immer wieder Leser enttäuscht. Besonders jene, die mit Elan ihren Sinn und ihre Suche befragen und sich von Hesse die Antwort erhoffen. Der Einsatz, Hesses Geschichten zu verstehen oder einfach anzuerkennen ist hoch: Unbedarftheit oder zumindest unvoreingenommenes Herantasten. Glücklich kann sich schätzen, wer Hesses Bücher schlicht liest.

Allen Interpretationen und Zwischenrufen neuentdeckter Lesarten steht denn ein Detail entgegen: Am Ende geht es immer um ihn. Er beschreibt nicht den Rest und erfüllt fremde Herzen. Er ist der Zauber, der jeder seiner Geschichten innewohnt. Die Weltanschauung muss warten.